Alle halbe Jahr ist es wieder soweit: Die Angst geht rum um die Zukunft des Journalismus oder besser: des Roboterjournalismus. Kurz und knapp geht es dabei um die automatisierte Erstellung von Inhalten mithilfe sogenannter Content-Software. Daten rein, Text raus, so der ambitionierte Redaktionsplan der Zukunft. Mit automatisch generierten Sportberichten punkten bereits erste Medien – mit passabel lesbaren Texten. Zeitnah und aus jeder Liga. Das ist super für die Leser. Und nicht wirklich der Untergang des Journalismus. Im Gegenteil: Denn macht man sich einmal auf die Suche nach dem Ursprung des Journalismus, so dient er als „vierte Gewalt“ im Staate zur Meinungsbildung. Und genau dafür ist jetzt wieder Zeit.
Zunächst einmal: Sind Zahlen und Fakten Journalismus?
Natürlich ist es zunächst einmal erschreckend, wie stark die Automatisierung in lange Zeit unantastbare Bereiche vordringt. Dazu gehörte das Schreiben, der Journalismus – also die Recherche und unabhängige Berichterstattung über Ereignisse. Auf den zweiten Blick jedoch bietet die moderne Automatisierung mittels Software wie die rtr textengine von Retresco auch neue Freiräume. Und ob es sich bei dem Versprechen „Individuelle Texte in herausragender Qualität“ von AX Semantics – und das innerhalb von „Bruchteilen von Sekunden“ – um Journalismus handelt, ist eine andere Frage. Denn nicht jeder erstellte Content ist ein journalistischer. Kurz: Nicht jeder Schreiber und Texter ist ein Journalist. Auch wenn der Übergang von der Werbung zu redaktionellen Inhalten heute in Zeiten zunehmenden Native Advertsings oftmals ein fließender ist, so gilt es hier dennoch zu unterscheiden – vor allem hinsichtlich der Relevanz und Qualität der Inhalte und des geistigen Eigentums, also dem Ergebnis aus Entdecken, Verstehen und dem Schlüsse ziehen durch den Autor. Und noch etwas: Wirklich rechnen tun sich automatisch generierte Texte derzeit nur für Unternehmen, die sehr große Content-Mengen benötigen. Die Paketpreise von AX-Semantics starten bei 500 Texten pro Tag ab 999,00 Euro im Monat – zahlbar jährlich.
Zur Erinnerung: Content hat auch etwas mit Zufriedenstellung zu tun
Bereits in 2015 schätzte das Wirtschaftsmagazin brand eins die Text-Software Wordsmith wie folgt ein: „Die Algorithmen des Schreibroboters produzieren Meldungen, die sich lesen, als hätte sie ein leicht gelangweilter Redakteur geschrieben“. Das Gute daran, so die Wirtschaftsjournalistin Pamela Patterson: „Ich habe dank Wordsmith drei volle Stellen eingespart. Aber die Leute wurden nicht entlassen, sondern dürfen sich endlich richtigem Journalismus zuwenden, können recherchieren und kluge Gedanken entwickeln. Meine Kollegen sind glücklich, dass wir Wordsmith haben, denn er (der Schreibroboter A.d.R.) erledigt die Aufgaben, zu denen sie keine Lust haben“.
Guter Content auf Knopfdruck
Daten reinschütten, richtige Texte ausspucken. Ganz ehrlich: Ich habe mir so einen Mechanismus auch schon einmal gewünscht. In meiner Schulzeit. Als sich Schillers Die Räuber in meinem Kopf partout nicht in eine literarische Erörterung umwandeln wollten. Da war ich allerdings noch jung und mitten drin in der Abi-Vorbereitung. Heute scheint es, bin ich für die Erfüllung dieses Wunsches zu alt und sowas von „raus“ aus der Zukunft, dass ich mir um eben diese große Sorgen mache – und zwar nicht nur um die Zukunft meiner Zunft, der Texter und Redakteure, sondern auch um gute Inhalte, ansprechende Formulierungen, Wortwitz und den Charme gut geschriebener Texte. Denn nur solche Texte machen Lust auf Lesen, bringen uns zum Lachen, informieren nachhaltig und erhalten unser höchstes Gut – das der deutschen Sprache. Zur Erinnerung: Wir waren einmal das Volk der Dichter und Denker. Und denken und „dichten“ wir heute auch anders als zu Zeiten von Goethe, Schiller und Co., so hat sich an dem Anspruch an gute Texte wenig geändert. Ganz im Gegenteil: Befinden wir uns gerade nicht inmitten der Ära „Content is King“?
Sieht man sich einmal die Übersetzung dieses Slogans an, dann bedeutet „content“ Inhalt und „to content“ zufriedenstellen. Aha. Es geht als im Content Marketing um zufriedenstellende Inhalte. Also um richtig gute, aussagekräftige, auch mal kritische, nett aufbereitete und schön zu lesende Inhalte. Zumindest, wenn man damit den jeweiligen Leser zufriedenstellen möchte. Das Blatt wendet sich natürlich, wenn man mit dem Roboter-Content nur Google und Co. zufriedenstellen und sich eventuell das lästige Honorar an die echten Redakteure und Texter sparen möchte. Ist ja alles Ansichtssache. Gerade in Zeiten des Content-Hypes. Denn woher soll man den guten Content herbekommen, und das auch noch regelmäßig und in Mengen?
Die zwei Perspektiven der Qualität
Früher hieß es einmal, gute Qualität habe ihren Preis. Heute scheint man da nach Auswegen zu suchen. Die Lösung, die softwarebasierte Texterstellungs-Programme liefern in meinen Augen nur vorgetäuschte Qualität, doch zu welchem Preis? Können Software-generierte Inhalte auch gute Inhalte sein? Dienen Robotertexte unserem Sprachgut und der freien Meinungsbildung – die Basis unserer Demokratie? Animieren Daten-Outputs zum Lesen? Ist viel auch gut? Oder macht uns diese Art von Masseninformation blöd? Und zu guter Letzt: Wird big brother Google diese Tricks entdecken, dulden oder gar belohnen?
Angst vor Marvin
Jetzt sagen die Tech-Nerds unter den Lesern zu meinen Ängsten: Alles halb so wild. Wir sind ja dabei, Roboter, auch Textroboter, zu perfektionieren und zu emotionalisieren! Ganz ehrlich: Eben das macht mir an die allermeiste Angst. Denn ich habe sie alle gelesen und gesehen: die Folgen von Per Anhalter durch die Galaxis! Und, von dem Moment an, als mich die Nachricht über das geplante vollautomatisierte Sportportal erreichte, sah ich niemand geringeren als Marvin, den ersten EMP-Roboter der Geschichte vor mir, wie er versucht einen berührenden Text zu formulieren. Und für alle die Marvin nicht kennen: EMP steht für „echtes menschliches Persönlichkeitsbild“. Marvin ist der Prototyp dessen, schwer depressiv und unmotiviert. Hier mal ein Einblick in sein Charakterbild.
Genauso stelle ich mir dann auch die Robotertexte der Zukunft vor: wenig heiter, dafür öde. Ich glaube, ich sollte mal wieder einen Blick in die Klassiker der deutschen Sprachgeschichte werfen. Irgendwo habe ich noch mein Reclam-Heftchen von Schillers Die Räuber. Denn wie heißt es darin so schön: „Fürchtet euch nicht vor Tod und Gefahr, denn über uns waltet ein unbeugsames Fatum!“
„Friedrich Schiller, Die Räuber“
Anm. der Autorin: Fatum ist gleichbedeutend mit Schicksal.